Nymphomaniac zieht die Massen an
Oder mit den Worten von Schauspieler Shia LaBeouf gesprochen: NYMPHOMANIAC ist wie ein Fischkutter, der die Möwen anlockt, weil sie auf die eine oder andere Sardine hoffen. In diesem Sinne war der zum Kino umfunktionierte Friedrichstadtpalast richtig gut besucht, wie das Titelbild den Eindruck vermittelt.
Diese Film-Kritik bezieht sich auf NYMPHOMANIAC Teil 1 Lange Version.
Bilder der Presekonferenz vom 09. Februar 2014, siehe unten.
Lars von Trier: Regisseur und Marketing-Spezialist
Regisseur Lars von Trier versteht was von Marketing. Religion, Philosophie, Soziologie, Psychologie – alles staubtrockene Themen oder neudeutsch gesprochen: wenig sexy. Was also machen, dass die Massen in die Kinos rennen? Sex sells! Man spicke die tiefe Betrachtung unseres Daseins, Sinn und Zweck mit Sex. Und schon ist das staubtrockene Thema verkauft.
Die Dummen sind die Männer
Die ersten fünf Minuten sind schwarz. Und das Publikum, dem doch Sex versprochen wurde, wird unruhig. Dann eine Weile ganz beschauliche Kameraeinstellungen von rohen, stellenweise moosigen Gemäuern, über das Schmelzwasser seine Bahnen zieht, unterlegt mit dem natürlichen Klang von fließendem und tropfendem Wasser. Schnitt! Und die Kinobesucher werden augenblicklich von hämmernden Tönen von “Führe Mich” (Rammstein) in die Sitze gedrückt. Seligmann (Stellan Skarsgård) betritt die Bildfläche. Ein guter Auftakt!
Der Film verursacht streckenweise viele Lacher oder auch nur Verlegenheitslacher. Parodistisch muten die zwanzig Minuten von Uma Thurman (KILL BILL) an. Sie wirkt ungeschminkt und könnte glatt als eine x-beliebige deutsche Schauspielerin durchgehen. Das Publikum kommt aus dem Gelächter gar nicht mehr raus. Dabei ist das Thema, wenn man mal hinter die Fassade blickt, kein Stück witzig. Ja, im Ganzen betrachtet ist der Film nicht zum Lachen. Das wird in den gefühlt endlos dauernden Minuten deutlich, in denen die junge Joe (Stacy Martin) ihren Vater (Christian Slater) “begleitet”. Das wird zur Tortur der Gefühle.
Stacy Martin, die mit NYMPHOMANIAC ihr Debüt als Schauspielerin feiert, wirkt vielversprechend. Und Christian Slater, der die letzten Jahrzehnte mehr oder weniger ein B-Movie-Dasein fristete, blüht auf. Uma Thurman, ob geschminkt oder nicht, und Stellan Skarsgård überzeugen.
Männer sind in NYMPHOMANIAC die Dummen. Es geht zwar vordergründig um Nymphomanie, also um die Sexsucht einer Frau. Die Männer aber stehen Schlange wie hechelnde, reudige Hunde, die allzeit bereit sind, alles zu bespringen, um dem natürlichen Trieb zu genügen. Der oberflächliche Charakter von Jerôme (Shia LaBeouf) bildet da keine Ausnahme. Für Joe ist Jerôme so etwas wie das Zentrum der Dreifaltigkeit oder, weniger blasphemisch, zumindest das zentrale Mittelteil eines Triptychons. Shia LaBeouf (TRANSFORMERS) spielt die Rolle exzellent.
Wer aber nach wie vor denkt, in NYMPHOMANIAC geht es nur um Sex, der wird enttäuscht werden und sollte nicht in den Film gehen. Es geht vielmehr um eine Gesamtbetrachtung des Lebens. Und dazu gehört nunmal auch Sex. Sex kann, wie alles andere auch, ob Essen, Trinken, Fernsehen, zur Sucht werden und zwar für beiderlei Geschlecht. Eines ist gewiss und da macht NYMPHOMANIAC keinen Hehl draus: Wer durchs Leben geht ohne Sinn und Verstand, der wird gefickt! Und das nicht nur im wortwörtlichen Sinn.
NYMPHOMANIAC ist ein sehenswerter Film, der auf seine Art einzigartig ist, auch wenn eine thematische Überschneidung mit BLACK SNAKE MOAN (2008, mit Christina Ricci und Samuel L. Jackson) schwerlich geleugnet werden kann.
Autor: Caspar Keller
5*: Bedeutendes Kino (sehenswert)
4*: Großes Kino (beste Unterhaltung)
3*: Gutes Kino (gute Unterhaltung)
2*: Kleines Kino (okay)
1*: Schlechtes Kino (besser ein Buch lesen)
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