Brutale Funktionalität trifft sinnliche Performance
Am frühen Abend den 1. Juli 2026 füllte sich das Café GIRI in Berlin mit einer neugierigen, stilbewussten Crowd. Geladen hatte niemand Geringeres als Selva Huygens – das Berliner Label, das mit seiner radikalen Materialästhetik und brutalen Funktionalität längst zu einem Fixpunkt der avantgardistischen Modeszene geworden ist. Diesmal nicht im Club oder auf dem Runway, sondern in einem intimen Gartenambiente – für ein Pop-up, das schnell mehr wurde als nur Ausstellung: eine Performance, ein Happening, ein Blick in eine andere Realität.
Während die Gäste entspannt mit einem Glas Sekt in der Hand durch das minimalistisch kuratierte Interieur des GIRI schlenderten, war draußen bereits Bewegung zu spüren. Inmitten des Gartens tauchte sie auf: eine Performerin, in ein monumentales Outfit gehüllt – schwere Lederstiefel, ein überdimensioniertes Autoteil als tragbare Skulptur. Ihre Bewegungen waren fragmentarisch, beinahe maschinell, als würde sie sich durch eine Welt navigieren, in der das Organische und das Technologische längst nicht mehr zu trennen sind.
Von innen ließ sich die Szene wie ein Theaterstück betrachten – nur dass hier keine Bühne, sondern der Garten selbst zum Aktionsraum wurde. Als die Performerin schließlich den Innenraum betrat, verdichtete sich die Atmosphäre. Zu düsteren, dystopischen Synth-Klängen bewegte sie sich durch die Menge, nicht als Model, sondern als Wesen – halb Mensch, halb Maschine, eine lebende Skulptur aus recyceltem Material und futuristischer Energie.
Ein Manifest zwischen Nachhaltigkeit und Subkultur
Nach der Performance lockerte sich die Stimmung – Gespräche flossen, Kontakte wurden geknüpft, es wurde gelacht, fotografiert, getanzt. Doch das eigentliche Herzstück blieb die Ausstellung selbst: ein Manifest für radikale Nachhaltigkeit und künstlerische Materialtransformation. Die präsentierten Kleidungsstücke – viele von ihnen Einzelstücke – zeigten die typische Handschrift von Selva Huygens: industrielle Reste, neu zusammengesetzt zu tragbarer Skulptur. Schuhe aus Autoteilen. Jacken aus Leder und Batterie-Separatoren. Ein Outfit aus einem zerlegten Gaming-Stuhl – Symbol für eine Generation zwischen digitaler Überreizung und greifbarer Realität.
Auch Möbelstücke waren Teil des Konzepts – Stühle aus Schrott, Accessoires aus Stahl, alles durchzogen von der rauen Ästhetik des Brutalist Functional Art Movements, das Huygens mitinitiiert hat. Es war ein Abend zwischen Kunstinstallation, Catwalk-Remix und Subkultur-Soirée – roh, direkt, visuell intensiv.
Dass Selva Huygens erneut ein Setting geschaffen hat, das weit über Mode hinausgeht, überrascht nicht. Bereits bei früheren Kollaborationen – etwa mit elmaître im Soho House Berlin oder bei der immersiven Fashion Week Show im Club OXI – wurde deutlich: Hier wird nicht nur Kleidung entworfen, sondern ein Universum gebaut.
Im GIRI Berlin zeigte sich dieses Universum in kleinerem Rahmen – dafür umso dichter, eindrucksvoller und vielleicht sogar intimer. Ein Moment der Entschleunigung inmitten des postindustriellen Chaos. Ein Glas Sekt. Eine Performance, die sich in die Netzhaut brennt. Und Mode, die nicht gefallen will, sondern verändern.
Autor: Teo Müller – Fotos: Ben Mönks
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