Es war ein groß angelegter Streich, der den Modemenschen zur Berlin Fashion Week gespielt wurde. Die Adidas Reality Wear Show, eine vermeintliche Modenschau von adidas im Eventspace PLATTE Berlin, bei der ein Rebranding der Marke angekündigt wurde und ein neuer Co-CEO. Dass sich dahinter eine täuschende Inszenierung verbirgt, ist den meisten Besuchern nicht klar.
Unter großem Applaus verkündet der Buddy Blatnik, Senior Creative Director von adidas, den Launch der neuen Adidas Kampagne „Own the reality“ und die neue Besetzung des Co-CEOs: Vay Ya Nak Phoan, die als Fabrikarbeiterin einer adidas Produktionsstätte in Kambodscha ihre Karriere begann. Händeschüttelnd geht sie durch die Reihen und unterzeichnet dann wortwörtlich auf dem Rücken von Blatnik das Abkommen „Pay Your Workers“, das adidas zur nachhaltigen und fairen Produktionsweise verpflichtet. Die Runwayshow soll symbolisch das Leiden der Fabrikarbeiter darstellen, und ist dementsprechend schockierend: Die Models haben geschminkte Verletzungen am ganzen Körper, haben Probleme beim gehen und atmen, sind erschöpft und verschwitzt und tragen sogar Brandmarken des adidas-Logos. Am Ende der Show posieren Blatnik und Phoan zusammen mit den Models in einer Gruppendarstellung.
Die brutale Realität von Fabrikarbeiterinnen – kreativ inszeniert
Die Looks der Adidas Reality Wear Fashion Show bestehen aus Upcycling-Kreationen von adidas-Sportkleidung, die teilweise verschmutzt und zerschlissen sind. Ein Model mit Veilchen trägt einen blauen adidas-Tracksuit, der über und über mit Etiketten der Marke bestickt ist. Ein anderes trägt ein Kleid aus zusammengefügten grünen Kärtchen, die sie während Runwaywalk aushändigt. Darauf ist der QR-Code zum „Own the reality“-Onlineshop gedruckt, zusammen mit einer Rabattaktion, die gleichzeitig dem „Garment Workers Severance Security Fund“ zugutekommen soll. Es läuft sogar ein Kind in einem cremefarbenen Umhang aus zusammengefügten adidas-Jacken über den Laufsteg. Die Designerinnen der Kollektion Isabell Schnalle und Paula Keilholz sind ein kreatives Duo und nennen sich „Threads and Tits“.
Eine Aktivisten-Aktion maskiert als Adidas Reality Wear Fashion Show
Was die meisten nicht realisieren: Beide vermeintliche adidas-Leader agieren unter falschem Namen. Phoan heißt in Wirklichkeit Len Leng und ist Journalistin und Aktivistin für die Rechte von Fabrikarbeiterinnen in Kambodscha. Bis zum Ende bleibt sie in ihrer Rolle als neu ernannter adidas-Co-CEO und gibt Interviews, in denen sie über die Zukunft der Marke spricht. Blatnik heißt eigentlich Mike Bonnano und ist Teil der Gruppe Yes Men, die seit 1996 professionell Unfug stiftet und Streiche spielt. Zusammen mit der Clean Clothes Campaign, einer Organisation, die sich für die Rechte von Arbeiterinnen in der Textilbranche einsetzt, haben sie dieses Event inszeniert. Das Ziel dieser Aktion ist, zu zeigen, dass für eine Brand wie adidas echte Veränderung möglich wäre, wenn diese von ganz oben kommt. Wie Blatnik bzw. Bonnano in seiner Begrüßungsrede betonte: „Impossible is nothing.“
Es ist ein Impuls für den am 1. Januar 2023 eingetretenen neuen Chef von adidas, Bjørn Gulden, der langjähriger Puma-CEO war, nachhaltige Bestrebungen der Marke auch wirklich durchzusetzen und Versprechen einzuhalten. Ilana Winterstein ist eine Repräsentantin der Clean Clothes Campaign: „Wir wollten zeigen, dass adidas die Macht über seine gesamte Lieferkette hat. Sie könnten echte und dauerhafte Veränderungen bewirken, wenn sie wollten. Wir haben mit diesem Event eine utopische Vision dafür geschaffen, was adidas sein könnte. Die Modenschau stellt die brutale Realität dar, was sich hinter den Hochglanzwerbungen verbirgt. Adidas spricht gerne von ‘Women Empowerment’ und solchen Buzzwords, aber das sind leere Versprechungen. Diese Maske wollten wir enthüllen und die Realität aufzeigen.“
Autor: Jessica Haberl – Fotos: KOWA-Berlin
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.