European Fashion Award FASH 2021 - Frankfurt Fashion Week

European Fashion Award FASH 2021 – Frankfurt Fashion Week

Der European Fashion Award FASH 2021 für junge Modedesigner wurde am ersten Tag der digitalen Ausgabe der Frankfurt Fashion Week offiziell verliehen. Pandemie-bedingt wurden auch die Gewinner des Jahres 2020 mit ausgezeichnet, da der Preis im letzten Jahr unterbrochen werden musste. Präsentiert wurden die Kollektionen und Preisträger in einem Film, der letzte Woche im Landhausgarten Fränkel in den „Hamptons von Berlin” aufgezeichnet wurde. Der 3,5 Hektar große Park in Berlin-Kladow ist ein Juwel und bietet einen herrlichen Blick auf den Wannsee sowie Preußens Arkadien mit der Pfaueninsel, die zum UNESO-Weltkulturerbe gehört.

Während die Industrie erstarrt ist, zeichnen sich bei den Studierenden ganz neue Formen der Mode ab. Geschlechterrollen spielen dabei ebenso wenig eine Rolle wie ein klassisches Kleid oder Sakko. Oft gehen die Entwürfe in Richtung Gewand. Erato Fotopoulos und Lars Witkowski verbinden in ihren jeweiligen Kollektionen sehr gekonnt Sportswear mit modischem Anspruch. Aylin Tomta hat Archetypen interpretiert und ein völlig neues und modernes Männerbild erschaffen, das maskulin ist, ohne ins Manierierte oder Crossdressing abzugleiten. Margarita Rozhkova überträgt Frauenmode des 19. Jahrhunderts auf den Mann und experimentiert mit dem Moiré-Effekt. Der Strick von Helena Wieser ist wirklich neu. Ihre Kollektion „Wollust“ inspiriert und macht Lust auf Mode. Und Carla Renée Loose hinterfragt in einer klugen Analyse die Glorifizierung der Jugend als Symbol für Erfolg und Zukunft und eine immer stärkere Entfremdung von uns selbst.

European Fashion Award FASH 2021

Der European Fashion Award FASH 2021 & 2020 mit Geldpreisen im Gesamtwert von 10.000 Euro ging an die folgenden Talente. Zum Preis gehören auch der Film, die Modefotos und ein Styling-Coaching.

Die Preisträger FASH 2020

Margarita Rozhkova, Universität der Künste Berlin (Studierende)

Die Kollektion Moiré Physique von Margarita Rozhkova erforscht, wie die Optik eines Moirés durch Licht und Schatten erreicht werden kann. Und wie ein digitales Moiré als potentielles Mittel zur Tarnung im Zeitalter der permanenten Überwachung und gefährdeten Privatsphäre dienen kann. Der Moiré-Effekt wird durch maschinelles Stricken, Weben und Siebdruck von Georgette, Baumwolle und Viskose erzielt. Analog zu Überlagerung zweier ähnlicher Raster eines Moirés, wurde die Frauenmode aus der Mitte des 19. und Jahrhunderts auf die Silhouette von Männermode übertragen.

Margarita Rozhkova - European Fashion Award FASH 2021

Erato Fotopoulos, Fachhochschule Bielefeld (Bachelor)

Die Kollektion [fi:] von Erato Fotopoulos interpretiert das philosophische Konzept des Fluiden. Mit „panta rhei“ beschreibt der Philosoph Heraklit das Leben als einen Fluss: Sein ist Werden und Werden ist Sein. Altbekannte Definitionen verschwimmen, vertraute Formen zerfließen.Archetypen aus Looks von Acid Jazz Bands mit ihrer frei fließenden Musik wie Digable Planets, Galliano, Brand New Heavies dienten als Basis des jeweils „statischen“ Teils eines Outfits. Hinzu kommt jeweils ein fluider, wandelbarer Part, bei dem die Volumen entlang von Bändern frei am Körper verschoben werden können. Es gibt dabei kein Richtig und Falsch. Die klare Struktur eines klassischen Karo-Musters (Digitalprint auf Baumwolle) wurde durch eine Spiegelfolie verzerrt, ein anderes durch Bleichen mit einem Zufallsfaktor verfremdet. Zusammen mit der ständigen Bewegung der Kleidung verlieren die Karo-Muster ihre Struktur, sie verschwimmen. Die thermochrome Farbe (Siebdruck) reagiert auf die Körpertemperatur und ändert sich von Petrol, wenn sie kalt ist, zu Neongrün, wenn sie sich erwärmt. Je nach Träger und Situation sind somit auch die Farben fluide.

Erato Fotopoulos - European Fashion Award FASH 2021

Carla Renée Loose, HTW Berlin (Master)

Die Frauenkollektion „Es war alles Gegenwart, die Zukunft fand ausschließlich in Science Fiction statt“ von Carla Renée Loose  visualisiert die jugendliche Emotionalität, Impulsivi­tät, Euphorie und Widersprüchlichkeit. Kontrastierende Farben, Formen und Materialien, Volumen und Tiefe, Transparenz und Opulenz prägen die Kollektion mit ihrem experimentellem Textil- und Strickdesign.

Carla Renée Loose - European Fashion Award FASH 2021

Die Preisträger FASH 2021

Lars Witkowski, Hochschule Hannover (Studierende)

Der Altaraufsatz „Goldene Tafel“ der Benediktinerabteikirche zu Lüneburg aus dem 14. Jahrhundert erstrahlt seit 2019 im Landesmuseum Niedersachsen in neuem Glanz. Er ist der Ausgangpunkt der Sommerkollektion „Oddity 1400“ von Lars Witkowski. Im Inneren der „Goldene Tafel“ befinden sich 23 Wunderkammern die einst mit dem kostbaren Reliquienschatz aus Rubinen, Smaragden und Perlen, exotischen Seidenstoffen oder religiösen Schriften gefüllt waren.

Die Distel symbolisiert im Altarbild die Mutter­milch Marias und ist gleich zu setzen mit ei­nem Heilmittel. Daraus entstand ein Digitalprint, der die Kollektion prägt. Das Grün ist abgeleitet aus den Naturdarstellungen, Kobaltblau, Rot und Weiß aus den Gewändern des Altarbildes. Die langgezogenen Silhouetten zeigen ein Layering aus Kaftanbluse, Kleid, Hosen und Overalls. Sie sind in Bio-Baumwollqualitäten sowie Jersey gefertigt. Sie greifen die Gewänder der „Goldene Tafel“ auf und sind zugleich genderneutral.

Lars Witkowski - European Fashion Award FASH 2021

Helena Wieser, Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle (Bachelor)

Kratzig und flauschig, Dominanz und Unterwerfung. Die Kollektion „Wollust“ von Helena Wieser beschäftigt sich mit dem Woll-Fetisch von Frauen und Männern und überträgt ausgewählte Neigungen in eine Ästhetik, die auch die Allgemeinheit anspricht. Die Vorlieben der „Woolies“ etwa für Corsagen, Balaklava, Bondage, Zopfmuster oder Rippstrick sowie bestimmte Farben wurden in sechs Outfits übersetzt. Entsprechend dem Fetisch sind die Outfits aus Mohair-, Schurwoll- und Alpaka-Garnen gestrickt. Metallringe sind eine Anspielung auf die Praktiken Bondage und S&M. Alle Teile wurden fullyfashioned und somit ohne Abfälle an der Handstrickmaschine oder von Hand gestrickt.

European Fashion Award FASH 2021 - Helena Wieser

Aylin Tomta, Fachhochschule Bielefeld (Master)

Identitäten sind fluide Momente. Ausgangspunkt der Masterarbeit von Aylin Tomta ist Aristoteles Frage, wie ‚Werden‘ im Sinne von Entstehen und Verändern möglich ist. Er sagt, wenn zu der Materie (griech. ‚Hyle‘) eine bestimmte Form (‚morphe‘) hinzukommt, entsteht ein ‚Ding‘. Die Kollektion „Hylemorph“ hinterfragt die Stereotypen und Grenzen von Genderidentitäten, also dem Geschlecht als soziale und kulturelle Konstruktion. Die große Kunst der Mode ist es, Bedeutungen zu verschieben. Statt nur Frau und Mann, bietet sie eine Vielfalt geschlechtlicher Identitäten. Mit ihrer Hilfe lassen sich in der Selbstinszenierung Grenzen überschreiten und viele verschiedene Nuancen erforschen. Es ist eine alltagsrelevante Form von „doing gender“. Hier liegt ihr queeres Potential. Und so kann sie unser Denken und damit unsere Gesellschaft verändern.

Ausgangspunkt der 20-teiligen gender-fluiden Menswear Kollektion sind Archetypen der klassischen Herrenmode als auch der Haute Couture. Um neue Formen für Anzug, Hosenrock, Hemd, Polohemd, Blouson, Mantel und Trenchcoat zu schaffen, werden die klassischen Formen aufgelöst und nur noch durch Nähte angedeutet, geschichtet, bedruckt oder Flächen werden in Schnitteile eingeschoben. Dieses Spiel mit der räumlichen Wirkung von Kleidung ermöglicht eine neue Art der Wahrnehmung.

Aylin Tomta hatte auch schon den European Fashion Award FASH 2016 als Studierende gewonnen.

European Fashion Award FASH 2021 - Aylin Tomta

European Fashion Award FASH – Jury

Um in dieser Zeit Reisen weitgehend zu vermeiden, hat eine Jury international erfahrener Experten zunächst 30 Finalisten anhand von digitalen Portfolios ausgewählt. Dabei war der Unterschied zwischen den digitalen Portfolios und den teils sehr aufwendig gefertigten Dokumentationen frappierend. Zusammen mit den Kleidern die von Models präsentiert wurden, bot sich der Jury mehr als ein Strom von Bildern – der Funke der Inspiration sprang über und machte Lust auf Mode. Die Mitglieder der Jury:

  • Jenny Capitain (u.a Fashion Director Vogue US),
  • Michael Court (Vivienne Westwood),
  • Sebastian Fischenich (Creative Director),
  • Torsten Hochstetter (Creative Director, u.a. Puma),
  • Joel Horwitz (Design Director, Fila Europe),
  • Hella Jongerius, (Designerin),
  • Barbara Markert (Modejournalistin Paris),
  • Joachim Schirrmacher (Creative Consultant, Direktor FASH),
  • Kristian Schuller (Fotograf),
  • Kerstin Strauss (Creative Directress, Engelbert Strauss),
  • Franco Tettamanti (Fotograf),
  • Carl Tillessen (Chefanalyst, Deutsches Mode-Institut),
  • Niels Holger Wien (u.a. Präsident Intercolor),
  • Mi- Kyong Yeom (Head of Design, Alpha Tauri).

Autor: Fsb – Fotos: Bernhard Ludewig / SDBI

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