Gastbeitrag von Olaf Kranz
„Missing Link – Symposium on creating value in Fashion“ Oder: Über die neue Mode, sich von der Mode zu distanzieren, und über Berlins Problem, sich auf der internationalen Modelandkarte zu positionieren
Berlin, den 06. November 2017. Vor Kurzem, am 27. Oktober 2017, luden das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung Berlin-Erkner und die Universität der Künste Berlin zu einem internationalen Symposium ein, das der Frage nachspürte, wie in der Mode Wert geschaffen wird. Geladen waren mit Angela McRobbie vom Goldsmiths College der University of London und Valerie Steele, Chef-Kuratorin am Museum des Fashion Institute of Technology New York, zwei der derzeit führenden Köpfe in der sozialwissenschaftlichen Modetheorie. Für alle am Thema „Valorisierung“ oder „Inwertsetzung“ in der Mode Interessierte war das ein Pflichttermin. Noch spannender wurde dieses Missing Link – Symposium durch die Frage, wie Wirtschaftsgeographen aus einem Forschungsprojekt mit dem geheimnisvollen Namen „Geographies of Dissociation“ die Mode betrachten und wie sie dabei mit Modeleuten ins Gespräch kommen. Ging es ihnen gar um das „Missing Link“, wie man Berlin und seine Designer durch eine gemeinsame Anstrengung endlich modemäßig relevant werden und auf die Landkarte der internationalen Fashion-Cities setzen kann?
Vom Bahnhof Zoo kommend, überraschte mich zu früher Stunde am Eingang der UdK-Konzerthalle in der Hardenbergstraße eine Schlange wie bei einer Fashionshow. Wow, dachte ich, bei einer wissenschaftlichen Konferenz sogar RSVP, Türsteher und Armbändchen wie bei einem Festival, spannend. Um das Ergebnis vorweg zu nehmen, ich wurde nicht enttäuscht und ging mit spannenden neuen Einsichten spät am Abend nach Hause.
„Fur Fashion and Geographies of Dissociation“ – Was haben Wirtschaftsgeographen mit Vêtements zu tun?
Das Missing Link – Symposium bestand aus drei Vorträgen, die jeweils drei prominent besetzte Diskussionsrunden zu verschiedenen Themen einleiteten. Die erste Runde wurde von einem Vortrag gerahmt, der das Forschungsprojekt des Leibniz-Instituts „Fur Fashion and Geographies of Dissociation“ vorstellte. Felix Müller trug vor, worum es der Forschungsgruppe geht: Allgemein gesprochen, interessiert sie unter Titeln wie ‚Valorisierung‘ oder ‚Inwertsetzung‘ die Frage, wie ökonomischer Wert überhaupt entsteht und welche Rolle dabei geographisch verteilte Wertschöpfungsketten spielen. Warum sind Leute bereit, für bestimmte Produkte oder Leistungen überhaupt Geld auszugeben? Die Antwort lautet: Weil die Leute Produkte oder Leistungen jeweils mit einem positiven Wert außerhalb der Ökonomie assoziieren. Diese allgemeine Frage ist nun für die Mode äußerst spannend, weil es in der Mode weder technische Qualitäts- oder Leistungskriterien noch ein ausgeprägtes Beurteilungsvermögen der Konsumenten für den ästhetischen Wandel gibt und sich durch den der Mode inhärenten schnellen Wandel auch gar keine Kriterien wie Qualität oder Langlebigkeit als messbare Wertmaßstäbe etablieren können. Warum sind die Leute bereit, für ein DHL T-Shirt, das in den Produktionskosten vielleicht insgesamt 5€ kostet, sagen wir, 600€ zu zahlen?
Die Magie eines Namens
Der französische Soziologe Pierre Bourdieu (vgl. 1) hat sich in seiner Theorie der Produktion symbolischer Güter genau mit dieser Frage befasst. Die Antwort lautet ihm zufolge: Mit Hilfe der Magie eines Namens werden profane Produkte, in unserem Fall das DHL T-Shirt als (Arbeits-)Kleidung, in ein symbolisches Gut, in unserem Fall: ein modisches It-Piece von der In-Marke Vêtements, umgewandelt. Magie ist hierbei Bourdieu zufolge ganz buchstäblich zu nehmen: Obwohl sich die chemisch-physikalische Stofflichkeit des T-Shirts nicht ändert, ändert sich die soziale Natur und der soziale Wert des T-Shirts durch die bloße Assoziation mit einem hoch geschätzten Namen – es „transmutiert“ zur Mode, für die die Leute schlagartig bereit sind, sehr viel Geld auszugeben.
Missing Link: Dissoziation – Von hässlichen Bildern toter und gequälter Pelztiere
Die Forschungsgruppe „Geographies of Dissociation“ am Leibniz-Institut geht über diese Grundeinsicht hinaus und behauptet, dass es bei der Wertkreation allein mit einer Assoziation zwischen einem Produkt und einem positiven extra-ökonomischen Wert nicht getan ist. Gleichzeitig müssen negative Assoziationen mit diesem Produkt, die genauso nahe liegen wie positive Assoziationen, aktiv unterdrückt werden, wie zum Beispiel negative Aspekte der Herkunft eines Produkts. Und genau dies nennt Felix Müller „Dissoziation“. Geographisch relevant wird diese Einsicht, dass die Unterdrückung assoziierter negativer Werte der Herkunft die Voraussetzung dafür ist, dass positive Assoziationen geknüpft und damit Wert kreiert werden kann, indem auf die globalen Wertschöpfungsketten geguckt wird. Und die Mode wird für das Leibniz-Institut relevant, weil die Pelzmode („fur fashion“) sich von Hause besonders gut dafür eignet, diesen Gedanken zu bebildern. Man denke nur an Bilder erschlagener Robbenbabys, schlechte Haltungsbedingungen niedlicher Pelztiere etc. Wer will so was dann noch kaufen, wenn Pelz so schlechte Assoziationen beim Betrachter hervorruft?
Der Deutsche Jagdverband dissoziiert sich von der Pelzindustrie, um Pelz als ethisch ok verkaufen zu können
Eine Zuhörerin vom Deutschen Jagdverband illustrierte in der anschließenden Fragerunde – vermutlich: unfreiwillig –, was Felix Müller mit Dissoziierungspraktiken der Pelzindustrie meinte. Nachdem sich die Zuhörerin verbal von der moralisch verwerflichen Pelzindustrie distanziert hatte, machte sie auf ein Siegel ihres Verbandes aufmerksam, das Pelz von Tieren zertifiziert, die in Deutschland von deutschen zertifizierten Jägern nach einem erfüllten Leben in wilder, freier deutscher Natur fachgerecht erlegt worden sind. Diese PR-Praktik der Lobbygruppe der deutschen Jäger wäre also ein Beispiel dafür, wie man eher negative Herkunftsaspekte eines Produkts durch eine bestimmte Erzählweise („Narration“) in etwas Positives verkehrt und dadurch erst diejenigen Bedingungen schafft, unter denen Leute (wieder) bereit sind, für Pelzmode Geld auszugeben – wenn der Pelz von ehemals ‚glücklichen‘ deutschen Wildtieren stammt, die unter ‚humanen‘ Bedingungen getötet wurden.
„Dissoziation“ ist damit in den Augen der Wirtschaftsgeographen das fehlende Verbindungsstück in einer Theorie der Inwertsetzung in der Pelzmode, also eines von mehreren möglichen „missing links“, denen das Symposium nachspürte. Dem Leibnitz-Institut geht es dabei gar nicht vordringlich um Mode, nicht darum, die sozialen Prozesse der Inwertsetzung in der Mode im Besonderen zu ergründen. Vielmehr interessiert es sich für (Pelz-) Mode als ein besonders geeignetes Vehikel zur Illustrierung der Dialektik von Assoziation und Dissoziation bei der sozialen Konstruktion von ökonomischem Wert im Allgemeinen. Ihre Wahl für ein illustrierendes Beispiel hätte genauso gut auf ein anderes Produkt, sagen wir, eines, das Palmöl nutzt, fallen können. Dann wäre das Thema des Symposiums etwas mit Kosmetik oder Nahrungsmitteln.
Schnell wurde klar: Von den Ergebnissen des Forschungsprojekts der Wirtschaftsgeographen konnte man keine Antwort auf die Fragen erwarten, wie in der Mode Wert kreiert wird und wie man Berlin und seine Designer durch eine gemeinsame Anstrengung endlich modemäßig relevant werden und auf die Landkarte der internationalen Fashion-Cities setzen kann.
Missing Links: Kann Modejournalismus kritisch sein?
Welche anderen „missing links“ neben dem der „Dissoziation“ spielten auf dem Symposium eine Rolle? Es folgte das erste Panel: „The role of the media in ascribing and appreciating value in the fashion world“. Der Inhalt dieser Diskussionsrunde lässt sich gut durch zwei Reaktionen der Zuhörerschaft während der abschließenden offenen Diskussion beschreiben. Eine Zuhörerin appellierte an die Diskussionsteilnehmer und die versammelten Zuhörer, dass alle Anwesenden die Mode doch eigentlich liebten. Eine zweite Beobachterin steuerte eine weitere ironische messerscharfe Beobachtung bei: Die Zuhörer waren Zeugen, wie die Panelmitglieder eine Übung der ‚Dissoziation‘ von der Mode vollführten. Was war geschehen, dass sich alle Diskussionsteilnehmerinnen von der Mode so stark distanzierten, als wäre sie etwas Frivoles ohne eigenen Wert, und dass fraglich wird, dass die Modejournalistinnen auch die Mode lieben? Was war geschehen, dass es nicht mehr um die Frage ging, wie in der Mode Wert kreiert wird, sondern dass vielmehr der Wert der Mode bzw. des Mode-Journalismus an sich infrage gestellt wurde?
Die vom moderierenden Oliver Ibert, Professor und Forschungsgruppenleiter am Leibniz-Institut, vorbereiteten Fragen zielten offenbar darauf, den am Beispiel der Pelz-Mode entwickelten und demonstrierten Gedanken der Dissoziation auf das Fashion System insgesamt auszudehnen. Welche Rolle spielt der Fashionjournalismus dabei, die negativen Verbindungen der Mode zu unmenschlichen Arbeitsbedingungen, zu Raza Plana, zur skandalösen Pelzproduktion in China, zu Umweltverschmutzung und Ressourcenverschwendung wenn nicht aktiv zu vertuschen, so doch zu verschweigen? Und steckt Fashion-Journalismus nicht von Natur aus in einer Zwangslage zwischen „the power of marketing, short awareness cycles and hegemonic discourse in fashion“ (Konferenzbooklet)? Wenn es dem Fashion-Journalismus schon schwer fällt, kritische ästhetische Werturteile über Kollektionen zu fällen, ist er womöglich strukturell gar nicht in der Lage, kritisch über die sozialen und ökologischen Bedingungen der Produktion von Mode zu berichten?
Von der frivolen Mode sollte man sich dissoziieren
Die Tonalität des Missing Link – Symposiums war durch diese Fragen nach der „dunklen“ Seite der Mode und nach den Praktiken der Dissoziation von amoralischen sozialen und ökologischen Produktionsbedingungen der Mode gesetzt. Mode steht damit nicht nur im Verdacht, frivol zu sein, weil sie den kapitalistischen Konsum mit ständig neu entfachter Nachfrage versorgt. Schlimmer noch. Die Mode ist in dieser Perspektive noch viel frivoler, weil sie sich über ihre anklagenswürdigen, menschenunwürdigen, Natur, Flora und Fauna vernichtenden Produktionsbedingungen bewusst hinwegsetzt und diese womöglich sogar den kritischen Augen der Öffentlichkeit entzieht, nur um Rendite erwirtschaften zu können.
Die geladenen Journalistinnen Katharina Pfannkuch, Islamwissenschaftlerin und Quereinsteigerin via ‚Modest Fashion‘, Ane Lynge-Jorlen von der Lund Universität Stockholm, bekannt durch ihre Analyse der Rolle von Nischen-Modemagazinen, Aya Noël, Absolventin des Central St. Martin Colleges London mit einem Fokus auf Sustainability in Fashion Journalism, und Laura Paddison, The Guardian, London, Quereinsteigerin in Fashion Journalism via das Thema Nachhaltigkeit, blieb unter diesen Bedingungen nichts anderes übrig, als sich praktisch in Dissoziation von einem affirmativen Modejournalismus und von der Mode zu üben. Man bekam dabei das Gefühl, dass Modejournalismus überhaupt nur dann ästhetische Werte in der Mode zur Sprache bringen darf, wenn er zunächst und vor allem verantwortlich-kritisch über Ethik und Nachhaltigkeit in der Mode berichtet. Damit deutet sich ein Abgrund eines Widerspruchs an, vor dem ein aufgeklärter Fashion-Journalismus steh: Gleichzeitig Missstände in der Wertschöpfungskette der Mode abdunkeln und verschweigen (Dissoziation) und anprangern (Kritik!). Auf dem Podium konnte indessen eine klassische Modejournalistin von einem großen deutschen Modemagazin wie Vogue vermisst werden, die ernsthaft Auskunft über die praktischen Zwänge kritischen Modejournalismus hätte geben können.
Missing Links: Wie kann man Berlin und seine Designer in der internationalen Mode etablieren?
Die Frage nach der Dissoziation ist gerade in unseren Zeiten von Hyper Fast Fashion mehr als legitim. Man kann aber mit dem gleichen Recht auch andere wirtschaftsgeographisch relevante Fragen stellen. Mit Pierre Bourdieu hatten wir bereits gesehen, wie ökonomischer Wert bzw. wie gleichsam sakrale symbolische Modegüter geschaffen werden, indem bestimmte Produkte mit einem hoch geschätzten Namen eines Designers assoziiert und auf diese Weise auratisiert werden. Bourdieu fragt, wenn das so ist, wenn es um den wertvollen und wertschaffenden Namen eines Schöpfers geht, dessen Aura mit seinem Namen auf die Produkte übergeht, wer schafft dann den Schöpfer.
Bourdieu geht es in seiner Theorie der Produktion symbolischer Güter in letzter Instanz um die Frage, wie ein bestimmtes kulturelles Feld Schöpfer produziert. Schöpfer in der Mode sind solche Designer, denen viele Leute spontan glauben, dass sie dank ihrer charismatischen Ausnahme-Kreativität gleichsam wie von selbst ästhetische Trends schöpfen können, denen sie dann sofort gern und unhinterfragt folgen, obwohl die Leute die ästhetische Qualität dieser Trends gar nicht einschätzen können und damit das Risiko eingehen, mit dem ästhetisch Neuen aus dem Rahmen zu fallen und sich der Lächerlichkeit preis zu geben. Schöpfer sind Leute, die in den Augen ihrer Follower quasi König Midas-Kräfte haben: Alles, was diese ‚Schöpfer‘ anfassen, alles, was mit ihrem Namen verknüpft wird, wird zu Gold bzw. zu einem Trend, weil die Follower es glauben. Wie ein DHL-T-Shirt zum It-Piece.
An diesen Gedanken lässt sich die Frage anschließen, warum es das ‚Berliner Ökosystem der Mode‘ oder auch das ‚deutsche Modesystem‘ seit Jahrzehnten nicht schafft, in der Konkurrenz mit Paris, Mailand, London und New York Designer von internationalem Rang mit der Lizenz zum Trend hervor zu bringen, obwohl es an talentierten Modedesignern/-innen und Graduierten der Modeschulen nicht mangelt? Am seit drei Jahren vergebenen Design-Preis des LVMH Konzerns kann man indes beobachten, wie man die Produktion von A-List Designer sogar innerhalb eines Unternehmens generalstabsmäßig planen und durchführen kann. Entsprechend interessierte mich an der Frage des Symposiums nach „Missing Links“, welche Rolle der deutsche Modejournalismus dabei spielt, dass die Stimmen und Sichtweisen der hiesigen Designer und Talente sogar in Deutschland kaum bekannt sind.
Ich träumte mich derweil in eine Welt, in der die in Berlin ansässigen Magazine mit internationaler Reputation wie Achtung, 032c oder Highsnobiety so aufmerksam, fair und enthusiastisch über die Berliner Fashion Week und die Berliner Graduate Shows berichteten wie über die Fashion Weeks in London, Mailand, Paris und New York und wie über die Graduate Shows am Central St. Martins College oder an der Royal Academy of Fine Art Antwerp und damit einen kleinen Beitrag leisten, hiesige Designer und Talente und damit Berlin auf die internationale Mode-Landkarte zu bringen.
Angela McRobbie sieht Berlin ganz weit vorn
Nach der Pause stellte eine der wohl klügsten Köpfe der internationalen feministischen Mode- und Kulturtheorie, Angela McRobbie, in ihrer Keynote Ergebnisse aus einem Vergleich zwischen Geschäftsmodellen von Mikro-Unternehmen in London, Mailand und Berlin vor. Endlich ging es darum, wie man in Berlin als selbständiger Designer erfolgreich ein Mode-Label betreiben kann. McRobbies Schlussfolgerungen sind aber m.E. eher, wie sagt man, ‚depressing‘.
Wenn wir neugierig nach London gucken als ein Beispiel einer erfolgreichen nachholenden Entwicklung im Schatten von Mailand und Paris hin zu einer Fashion City, wohin inzwischen die professionelle Fashion Welt guckt, wenn es um das Entdecken neuer Designtalente geht (J.W. Anderson, Mary Katrantzou, Christopher Kane, Peter Pilotto, Gareth Pugh, Agi & Sam, Christopher Raeburn, Cottweiler, Craig Green, Wales Bonner u.v.m.), dann hat Angela McRobbie für diese Entwicklung nichts übrig: Sie sieht in London nur eine „exceptionally competitive environment“ sowie ein „winner takes it all ethos“ am Werk, an denen sie lediglich die negativen Aspekte betont. Während ein paar wenige Designer Erfolg haben, muss die anonyme Mehrheit ihre Existenz unter prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen fristen.
Am schlimmsten ist diese Prekarität unter Modedesignern vermutlich in Mailand ausgeprägt, wo 50% der Graduates arbeitslos und auf die Unterstützung ihrer Herkunftsfamilien angewiesen sind, obwohl es im Mailänder Mode-System viele große Modefirmen gibt. An den vielfältigen Versuchen des Mailänder Modenachwuchses, sich unter widrigsten Bedingungen dennoch irgendwie als Designer zu betätigen, wird indessen deutlich, wie wichtig es für die Identität der Graduates ist, als Modedesigner zu existieren. Am Beispiel Mailand wird Angela McRobbies Interesse und Sympathie deutlich: Wie können Graduates von Modeschulen, zu 90% Frauen, unter den Bedingungen eines sowohl übersättigten Produktmarktes als auch Arbeitsmarktes mit der Ausübung desjenigen Berufs eine Existenz erringen, den sie studiert haben und lieben.
Als positives Gegenmodel zu London stellte Angela McRobbie Berlin dar. Berlin sei die Heimat der erfolgreichen Verbindung der Idee sozialen Unternehmertums mit dem Charme kooperativen Arbeitens in Designerkollektiven in der Mode, und damit vielleicht zukunftsweisend dafür, die momentan massenhaft ausgebildeten Modedesigner jenseits von äußerst seltenem Star-Designerruhm und jenseits der wenigen Jobs in der Textilindustrie in Brot und Existenz zu bringen. In den Ohren Berliner Designer klingt das ein wenig danach, aus der Not eine Tugend zu machen. Immerhin benennt ein von Angela McRobbie herausgegebener erster Untersuchungsbericht auch die Risse an diesem doch sehr stark romantisierten Bild der Berliner Modeszene – arm und unbedeutend, aber vereint, glücklich und den Zwängen des internationalen Modewettbewerbs enthoben: „The mainstream of the fashion industry across Germany does not pull its weight when it comes to supporting or even engaging with young talented designers’. This lack of support can lock the highly-trained Berlin designers into a situation whereby it is difficult to envisage higher returns and any degree of financial security.” (vgl. 2)
Missing Link: Wie kann man Berliner Mode als ästhetisch wertvoll positionieren?
Hier taucht unsere Frage wieder auf, in impliziter Form: Wie kann das deutsche Fashion System die hiesigen, sehr gut ausgebildeten Talente zu Designern mit internationaler Reputation entwickeln? M.E. müssen wir unter den gegenwärtigen Bedingungen der deutschen Anti-Mode-Kultur es erst wieder lernen, mit der Mode überhaupt irgendeinen positiven Wert zu assoziieren. Dafür müssen, nimmt man das Symposium als Indiz, offensichtlich nicht nur deutsche ‚Kulturwerte‘, sondern inzwischen auch der Reflex überwunden werden, sich pflichtschuldig von allen negativen Aspekten der Mode zu dissoziieren, um sich damit jeder Chance zu berauben, mit der Mode überhaupt noch positive Assoziationen zu verbinden, die indessen nach wie vor Voraussetzung der Inwertsetzung der Mode sind. Das Missing Link – Symposium machte deutlich, dass die Mode in Deutschland wie selbstverständlich mit negativen Aspekten assoziiert wird. Und das ist eine weitere, sehr schwere Hypothek für deutsche Designer wie Graduierte.
Ist Nachhaltigkeit eine Antwort?
Während der sich anschließenden Panel-Diskussion „Policy, activism, and industry: Transforming fashion – creating responsible value?“ arbeiteten sich die Teilnehmer (aus Politik, Lobbygruppen und Wissenschaft) unter Aufsicht von Jana Kleibert vom Leibniz-Institut und Gastprofessorin für Wirtschaftsgeographie an der Uni Frankfurt, einer nach dem anderen an den vorgelesenen Fragen ab, die so erwartbar wie die vorgestanzten Antworten ausfielen, weshalb sie hier nicht weiter interessieren. Nur Julien Labat, CEO des Labels EDUN New York und damit einziger Vertreter eines Labels auf dem Podium, bildete die erfreuliche Ausnahme und bewahrte die Zuhörerschaft vor der kollektiven Narkolepsie. Als Insider eines der wenigen nachhaltigen Labels nennenswerter Größe sind mindestens drei seiner Statements wert, genannt zu werden:
- Das Erfordernis der Transparenz im Geschäftsmodell nachhaltiger Mode steht in einem direkten Widerspruch mit dem Erzeugen von Begehrlichkeit, dem sich auch nachhaltige Labels nicht entziehen können, die einen Mode-Anspruch haben. Imagefilme über die Produktion von Mode in Äthiopien sind vieles, nur nicht sexy.
- Vollständige Nachhaltigkeit in der Lieferkette ist unmöglich, Kompromisse sind unumgänglich.
- Von den insgesamt fünf ernsthaft nachhaltigen Labels in den USA, die Julien Labat bekannt sind, haben im vergangenen Jahr zwei Insolvenz angemeldet, weil sie keine ausreichend große externe finanzielle Unterstützung akquirieren konnten. Ich überlasse es jedem selbst, aus diesen Beobachtungen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Die im Panel gestellten, durchaus berechtigten Fragen nach der Nachhaltigkeit der Lieferkette und der Verantwortung der Designer in der Modeindustrie sind mit Blick auf Berlin leider irrelevant, weil es indessen in Berlin keine nachhaltigen Labels nennenswerter Größe und von nennenswertem Einfluss gibt, deren Entscheidungen einen messbaren oder ‚nachhaltigen‘ Einfluss auf die Modeliebhaber und die Produktion von Mode haben könnten. Momentan gibt es zwar in der Berliner Modeszene, z.B. im Umkreis von Sourcebook, aber auch im Senat und im Fashion Council Germany, viele Diskussionen über die Notwendigkeit, das Alleinstellungsmerkmal Berlins im Aufmerksamkeitswettbewerb mit Paris, Mailand, New York und London zu schärfen. Dabei weisen viele Antworten mit guten Gründen in die Richtungen Nachhaltigkeit und/oder Wearables bzw. technische und technologische Neuerungen im Verbund mit der technik- und internetaffinen Berliner Start-Up-Szene. Ich möchte aber bezweifeln, dass dies von Erfolg gekrönt sein wird, wenn das Berliner, respektive das deutsche Fashion-System, es nicht gleichzeitig schafft, Designer mit der Lizenz zum Trendsetzen – Schöpfer im Sinn Bourdieus – zu kreieren.
Meine These ist, dass dies eine der Voraussetzungen ist, um Berlin mittelfristig zurück auf die internationale Modelandkarte zu bringen. Fairerweise muss man sagen, dass genau dies auch der Strategie des Berliner Mode Salons um die Herausgeberin der deutschen Vogue, Christiane Arp, und um Markus Kurz, CEO der Agentur Nowadays, entspricht, Berlin wieder relevant werden zu lassen.
Stopp! Wieso Berlin zurück bringen? Haben wir nicht die Berliner Fashion Week?
Valerie Steele: Missing Link Berlin Fashion Week
Valerie Steele präsentierte zum Auftakt der dritten Runde in ihrer Keynote „Globalization and technology“ u.a. eine Folie, auf der die Fashion Weeks dieser Welt sowohl von internationalem Rang (m.a.W. Paris, Mailand, London, New York) als auch von regionalem Rang abgebildet waren. Regionale Fashion Weeks sind solche, die es niemals ins „Fashion Cross“ bringen werden, aber die immerhin so viel Attraktivität und Charme für die Leute haben, dass es in diesen Regionen Grund genug gibt, sie zu begehren. Es fanden sich allerlei Städte auf dieser Karte: z.B. Tbilisi, Seoul, Lagos, Tokyo, Istanbul, Moskau, Kopenhagen, Stockholm, Shanghai, Sao Paulo, Miami, Kiev u.a. Die Berliner Fashion Week war nicht verzeichnet – „Missing Link“. Das Fehlen Berlins wurde nicht kommentiert oder diskutiert. Entweder, weil es nicht auffiel, oder, weil es inzwischen als selbstverständlich hingenommen wird, dass eine der führenden Modetheoretikerinnen selbst dann Berlin nicht in diese Landkarte aufnimmt, und sei es aus Höflichkeit, wenn sie in Berlin einen Vortrag hält.
Erneut zeigte sich während des Symposiums unfreiwillig: Es geht zuvorderst gar nicht um Praktiken der Dissoziation, sondern zunächst erst einmal um die Assoziation Berlins in der Mode mit positiven Werten und vor allem mit erfolgreichen Designern bzw. mit der Narration, dass es in Berlin interessante Designer zu entdecken gibt.
Die Kreativität der Designer im Fashion System
Valerie Steele stellte in ihrem Vortrag eine andere These zur Diskussion. Ihr ging es um die Rolle der Designer bei der Wertschöpfung in der Mode. Dafür zitierte sie eine Koryphäe auf dem Gebiet der Kreativitätsforschung, Mihaly Csikszentmihalyi, der einen ähnlichen Gedanken wie Pierre Bourdieu im Wortgewand eines „Social System Approaches to Creativity“ (vgl. 3) etabliert hat. Kreativität entsteht nicht allein im stillen Kämmerlein des einsamen Bewusstseins eines kreativen Genies. Damit das nützliche oder ästhetische Neue in die Welt kommt, müssen zur individuellen Kreativität weitere notwendige Bedingungen hinzutreten. Ein kulturelles System, bestehend aus Wissen, Werkzeugen, Praktiken und Werten einer bestimmten Domain, definiert überhaupt erst, was als neu in einem bestimmten kulturellen Bereich zählt, und ermöglicht erst die Entstehung des Neuen. Zugleich muss das nützliche oder ästhetische Neue auch immer sozial gegengezeichnet und beglaubigt werden durch sogenannte „Gatekeeper“ eines sozialen Feldes, das wir hier bislang Fashion-System genannt haben und das sich in der Mode aus einem Netzwerk von Journalisten, Showroomagenten, Stylisten, Fotografen, Konzeptstorebetreibern u.a. zusammensetzt.
Valerie Steele fügt dieser komplexen Anordnung noch eine weitere Dimension hinzu: die Konsumenten bzw. „a receptive environment“. Damit öffnet sie die Diskussion für diejenigen Veränderungen im Fashion-System, die vom geänderten Verhalten der Modekonsumenten im Zeitalter der Digitalisierung und der sozialen Medien abhängen.
Wird Jede und Jeder zum Designer und Stylisten der eigenen Garderobe?
Valerie Steeles Hinweis, dass der Wertinput der Designer in der Kreativität liegt, klingt zunächst lediglich wie eine klassische und nahe liegende Antwort. Diese Antwort verliert aber an Selbstverständlichkeit angesichts der aktuellen Trends im Fashion System einerseits und in der „receptive environment“ andererseits. Im Vergleich zu den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts oder den Nuller-Jahren des neuen hat die Mode seitdem durch allerlei technologische und soziale Veränderungen zunehmend ihre exklusive Kraft verloren, Trends zu generieren.
- Mode kommt selbst aus der Mode und wird zunehmend durch eine Orientierung an „Normcore“ ersetzt, verbunden mit einem weit verbreiteten Verlust an Sensibilität und Sensitivität für Mode v.a. in den nachrückenden Generationen, denen andere Dinge als Mode wichtig sind, um sich sozial zu differenzieren;
- anstatt einem einzigen ästhetischen Trend, dem alle folgen, existieren gleichzeitig viele Trends nebeneinander;
- Bilder und journalistischer Content wird durch die Digitalisierung leicht, instantan und kostenlos verbreitet;
- Fast Fashion erobert für die Mode einen Massenmarkt;
- wiedererkennbare Designer-Handschriften und ein erkennbarer Kollektionsaufbau verlieren an Gewicht zugunsten von überstylten Outfits, die in einem nie endenden Stream von gleichformatigen Instagrambildern um unsere erschöpfte ästhetische Aufmerksamkeit buhlen;
- der Wert wiedererkennbarer und damit leichter kopierbarer Designer-Handschriften steht angesichts eines fröhlichen Eklektizismus von Stilen und Trends und einer Copy & Paste-Kultur infrage;
- eine Kultur, die den Eigenwert der Mode und ihrer kommunikativen Möglichkeiten schätzt, verliert immer mehr an Bedeutung, so dass auch die Mode-Literalität der Konsumenten immer weniger ausgeprägt ist trotz besserer Informationsmöglichkeiten;
- das Fashion System der Gatekeeper unterliegt ebenfalls einem massiven Strukturwandel, so dass der Einfluss des professionellen Fashion Journalismus immer weiter schwindet zugunsten von Laieneinschätzungen von Influencern und Bloggern, die zu Meinungsführern bei der Geschmacksbildung einer „kritischen Masse“ werden;
- die Stile und Trends der Vergangenheit sind durch einen Klick jedermann jederzeit mühelos zugänglich, abrufbar und kopierbar.
All diese Trends und Entwicklungen verschieben die Balance der Einflussmöglichkeiten zwischen Professionellen und Laien bei der alltäglichen Bestimmung dessen, was Trends sind, was als jeweils zeitgemäße Ästhetik und was als kontemporäre Kreativität wahrgenommen wird, zugunsten der Laien. Es geht dabei noch nicht einmal nur um die Frage, dass Designer im Fashion System immer weiter an Einfluss gegenüber z.B. Stylisten und dem Marketing verlieren. Es scheint inzwischen um Alles zu gehen: Die ästhetischen Werturteile professioneller Designer unterliegen einem radikalen Autoritätsverlust. An dessen Ende sind “designer just another voice among millions, acting as their own stylists” (Konferenzbooklet). Leisten Designer dann überhaupt noch irgendeinen nennenswerten Beitrag zur Wertschöpfung in der Mode, und wenn ja, welchen?
The Winner takes it all: Vom Namen der A-List Designer und vom Schicksal des Rests
Unter anderem diese Frage sollten die anwesenden Valerie Steele, Anja Aronowski Cronberg, Editor in Chief Vestoj London/Paris, Serhat Içik & Benjamin Huseby, GMBH Berlin, Lars Paschke & Valeska Schmidt-Thomsen, UdK Berlin, sowie Isabell Fiedler, bis vor Kurzem Menswear Designer bei J.W. Anderson, diskutieren. In der von Ingeborg Harms, Professorin für Designtheorie an der UdK, moderierten Runde machten vor allem die Beiträge von Isabell Fiedler deutlich, dass deutsche bzw. deutschsprachige Designer dank ihrer guten handwerklichen Ausbildung gegenwärtig vor allem in der zweiten Reihe im anonymen und operativen Geschäft großer Modehäuser eine Rolle spielen können, während der Name dieser Modehäuser und der ‚designer‘s point of view‘ von Designern wie J.W. Anderson aus dem Pariser, Mailänder, Londoner oder New Yorker Fashion System bestimmt wird.
Diese Berufsperspektive war für die zuhörenden UdK Studenten sicherlich ein wichtiger Einblick ins Räderwerk der Modeindustrie jenseits einer prekären Selbständigkeit. Zwischen den Zeilen wurde zugleich deutlich, dass auf Star-Designer und ihren auratisierten Markennamen – Schöpfer im Sinne Bourdieus – auch unter den skizzierten geänderten Bedingungen gerade nicht verzichtet werden kann. Das Bedürfnis nach Personalisierung auch ästhetischer Trends und nach Identifikation mit charismatischen Designern und ihren Ingroups scheint stärker zu sein als die Demokratisierung von Styles. Für diesen Zwang, gesellschaftliche Prozesse wie z.B. ästhetische Trends mit konkreten Personen verbinden zu können, steht beispielhaft Demnia Gvasalia, der ‚geniale‘ Designer „hinter“ dem Label Vêtements, das in der verlautbarten Marketingstory derweil als „Kollektiv“ gegründet wurde.
Die Authentizität von GMBH: The first big thing from swinging Berlin?
Serhat Içik & Benjamin Huseby, die öffentlich sichtbaren Köpfe des Berliner Designer-Kollektivs GMBH, betonten in der Diskussion immer wieder ihre „Authentizität“. Vermutlich ist das Label GMBH momentan am aussichtsreichsten dafür positioniert, als Berliner Label international wahrgenommen zu werden, weil es in seiner Story am deutlichsten und glaubwürdigsten ein Berliner Lebensgefühl und Lifestyle kommuniziert und damit zugleich den internationalen Hype um Berlin clever nutzt. Eine Saga von ethnischer, religiöser, kultureller, sexueller und interdisziplinärer Diversität im Kontext einer vibrierenden, libertären Partykultur, in der Berghain-Clubwear als Workwear durchgeht.
GMBH ist es am ehesten zuzutrauen, den „Missing Link“ zwischen Berliner Designern und der globalisierten Mode herzustellen. Denn „the clothes we wear (…) invoke associations with distant places or glamorous life styles”, heißt es dazu auf der Website der Konferenz. Zudem ist GMBH exzellent mit dem internationalen Fashion System vernetzt, so dass sie für ihre internationale Anerkennung nicht auf das Berliner Fashion System allein angewiesen sind. Und Serhat Içiks & Benjamin Husebys Bestehen auf „Authentizität“ unterstreicht im Sinn des Symposiums, dass es für die Assoziation von Kleidung mit positiven, außerökonomischen Werten – hier: die weltweit gefühlte Sehnsucht nach einem freien und der kreativen Selbstverwirklichung gewidmeten Leben in einem liberalen, ja libertären Berlin – nicht zuletzt auf die Hestellung eines „genuine bond between wearer, designer and producer“ (Konferenzbooklet) ankommt.
Anti-Mode wird en vogue: Wie es für einen positiven Wert der Mode notwendig wird, sich von der Mode zu distanzieren
Als ich die UdK-Konzerthalle in der Hardenbergstraße in Richtung Bahnhof Zoo verließ, nahm ich zwei neue Einsichten mit nach Hause, für die das Missing Link – Symposium reichlich Anschauungsmaterial bot. Zuerst zur guten Nachricht: Es gibt eine Chance für die Fashion-City Berlin und Designer aus Berlin. Die erst noch zu leistende Assoziation Berliner Mode mit positiven außerökonomischen Werten ist aber die Voraussetzung dafür, mit Blick auf die Berliner Mode anschließend überhaupt sinnvoll über Dissoziation diskutieren zu können. Für das Beseitigen des „Missing Links“ zwischen Berliner Designern und internationaler oder gar nur nationaler Anerkennung bedarf es einer konzertierten kreativen Aktion des gesamten Berliner bzw. deutschen Fashion-Systems, Designer als Schöpfer zu ‚produzieren‘, deren ästhetischen Trends man sich gern unterwirft.
Die schlechte Nachricht lautet: Die Bedingungen, unter denen wir im Fashion-System Designer als Schöpfer und Trendsetter kreieren können, werden momentan komplizierter, weil es zur Mode wird, sich von der Mode zu dissoziieren. Ein kurzer Blick über den Tellerrand des Symposiums? Jil Sander betont, dass sie schon immer „Anti-Mode“ war. Erdem charakterisiert ausgerechnet (in zynischer Weise?) seine aktuelle Kooperation mit Fast Fashion Behemot H&M mit Werten, die der Mode entgegengesetzt sind: mit „the idea of permanence (…) longevity“. Und während Vêtements – nomen est omen – bei jeder Gelegenheit betont, lediglich „Kleidung“ und gerade keine Mode zu entwerfen, besteht GMBH darauf, ein künstlerisches und gerade kein modisches Konzept zu verfolgen. Es ist, als ob die Selbst-Distanzierung der Mode zu einer in der Mode praktizierten Form der Dissoziation vom der Mode zugrunde liegendem Wert des ‚ständigen Wandels‘ wird, also zu einer notwendigen Voraussetzung, um mit Mode positive Werte assoziieren und so Wert kreieren zu können.
Oder sollte diese Mode der Dissoziation von der Mode in der Mode den deutschen und Berlinern Designern vielleicht doch eher in die Karten spielen, weil sich die hiesige ‚tiefgründige‘ Kultur quasi naturgemäß wieder und wieder von der ‚oberflächlichen‘ Mode distanziert bzw. dissoziiert? Kann die bisherige Misere und Hypothek der deutschen Mode, die deutsche Anti-Mode-Kultur, jetzt ausgerechnet zu einem Standortvorteil werden? Vermutlich ist das Pariser Fashion-System – diese „Centralsonne“ der Mode, wie Werner Sombart Paris einmal nannte, – aber wieder einmal besser darin, die Mode der Anti-Mode abzusurfen.
Weblinks zum Missing Link – Symposium on creating value in Fashion
Geographies of Dissociation
Leibniz-Institut
Universität der Künste Berlin
Olaf Kranz ist ein Soziologe aus Berlin mit einem praktischen Interesse an den creative industries und Co-Founder des Labels BRACHMANN.
Literatur
(1) Bourdieu, Pierre. Aber wer hat denn die ‘Schöpfer’ geschaffen? In: ders., Soziologische Fragen, Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1993, S. 197-211.
(2) McRobbie, Angela, Dan Strutt, Carolina Bandinelli, and Bettina Springer (2016), Fashion micro-enterprises in London, Berlin, Milan. CREATe Working Paper 2016/13, Goldsmiths, University of London. DOI 10.5281/zenodo.162668 , S. 2.
(3) Csikszentmihalyi, Mihaly (1999), A Systems Perspective on Creativity. In: R. Sternberg (Ed.) (1999), Handbook of Creativity. Cambridge: Cambridge University Press, S. 313-35.